Sunday, January 09, 2005

"Modern ist, wer gewinnt" (5. Jan. FAZ)

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"Modern ist, wer gewinnt.
Das Alte neu zu bauen ist nicht notwendig trivial:
Das Bauhaus und die kommende Ära der Rekonstruktion"

Frankfurter Allgemeine Zeitung 05. Januar 2005
Rezensent: Guillaume Paoli

Rezension: UmBauhaus.
Aktualisierung der Moderne

Matthias Hollwich und Rainer Weisbach (Hg.)
Jovis Verlag Berlin 2004.

Wer der nächsten Kulturmode zuvorkommen möchte, ist gut beraten sich anzuschauen, was in der Architektenzunft eingefädelt wird. Schließlich wurde der Begriff “Postmoderne”, längst bevor er zur gemeinen Floskel wurde, von Architekturtheoretikern geprägt. Als kürzlich Derrida starb, fragten sich verunsicherte Trendforscher, was wohl nach der Dekonstruktion kommen würde. Die Antwort könnte schlicht lauten: Rekonstruktion. Künftig dürfte sich das Wort seiner Doppelbedeutung wegen durchsetzen. Man rekonstruiert einen Vorgang, indem man Ereignisse, die zunächst als zusammenhangslos erscheinen, einer logischen Anordnung unterwirft. Diese Definition gibt ziemlich genau die kulturellen Anforderungen der Gegenwart wieder. In dem Trümmerchaos, das der Abriß klassischer Lehrgebäude hinterließ, sollen neue Fäden gezogen werden. Und parallel dazu, um von dem Riesenarchiv, das uns zur Verfügung steht, Gebrauch machen zu können, sind nicht nur Suchmaschinen, sondern auch methodische Verknüpfungen erforderlich. Rekonstruktion also. Daß diese nicht mit der bloßen Wiederherstellung des Dagewesenen zu verwechseln ist, wurde schon anläßlich der anhaltenden Debatte um das Berliner Schloß und den Palast der Republik deutlich. Der Prozeß der Rekonstruktion beinhaltet politische Entscheidungen, Geschichtskorrekturen, Nutzungsbestimmung und symbolische Wertschöpfung, allerlei Elemente, die im Endprodukt sichtbare Spuren hinterlassen.


Die Sache wird noch problematischer, wenn es darum geht, Bauten der klassischen Moderne zu rekonstruieren, also Bauwerke einer Denkschule, der die bloße Idee der Konservierung prinzipiell als abstoßend galt. Ein Fallbeispiel davon gibt zur Zeit das Dessauer Bauhaus – im übrigen selbst eine von der späten DDR rekonstruierte Institution, die die Wende erstaunlich gut genommen hat. Das Bauhaus hat einen etwas schizophrenen Doppelauftrag: es soll gleichzeitig innovative Konzepte entwickeln und seine Erbschaft verwalten. Zum letzteren gehört die Sanierung des Ensembles, das in den zwanziger Jahren errichtet wurde und heute beim Weltkulturerbe der UNESCO eingetragen ist. Nun lautet die Frage: Was soll mit Walter Gropius‘ Direktorenhaus geschehen? Dieses, 1926 gebaut, wurde 1945 bei einem Fliegerangriff vollständig zerstört. Auf seinem Fundament steht seit 1956 ein biederes Einfamilienhaus, das auch noch – äußerstes Sakrileg – von einem Satteldach gekrönt ist. Auf der Suche nach einer Lösung sind die Bauhäusler Rainer Weisbach und Matthias Hollwig um die Welt gereist und haben Stararchitekten, Designer und Theoretiker um Rat gebeten. Zudem wurden Konferenzen mit Lokalpolitikern veranstaltet. Jetzt liegt die Diskussion in einem Buch vor. Es wird kein endgültiges Ergebnis vorgestellt, sondern ein anregendes Patchwork von Ideen und Vorschlägen. Fern von althergebrachtem Avantgardismus knüpfen die Herausgeber an die Begriffswelt Otto Rehagels an: “Modern ist, wer gewinnt”.


Die erste Option, die in Frage käme, wäre die Kanonisierung, also die einszueins Klonung des originalen Hauses. Dies wäre zwar ganz im Sinne des Denkmalschutzes und entspräche zudem der Idee der technischen Reproduzierbarkeit, die ja ein Herzstück der Bauhaus‘schen Theorie war, würde aber einer Negierung der Zeitspanne gleichkommen, die uns von den zwanziger Jahren trennt, so als ob dazwischen nichts geschehen wäre und die heutigen Besuchern einen unvermittelten Zugang zum damaligen Kontext hätten. Aus dieser Art der Rekonstruktion ergäbe sich ein rein ästhetischer, zeitfremder Gegenstand.


Dagegen wendet sich der Vorschlag einer historisierenden Rekonstruktion. Schließlich wurde das heute bestehende Haus im Auftrag der SED explizit als Gegenkonzept des Bauhaus-“Formalismus” entworfen, insofern dokumentiert es auch einen Teil der Architekturgeschichte des vorigen Jahrhunderts. Die Befürworter der Historisierung favorisieren eine Art dreidimensionale Collage aus beiden Häusern, die das Schicksal der Moderne veranschaulichen soll. Im Gegensatz zum bloßen Wiederaufbau beinhaltet das Vorhaben eine pädagogische Dimension, nichtsdestotrotz bleibt es dem gleichen Blickpunkt verhaftet, nämlich der Betrachtung der Moderne als abgeschlossenem Kapitel, als Kulturgut ohne lebendige Beziehung zur Gegenwart.


Ganz anders die dritte Option, die erwartungsgemäß von vielen Architekten bevorzugt wird: die der Aktualisierung. Wäre Gropius noch am Leben, so das Argument, dann würde er sich ohne Zweifel des Potentials neuer Technologien bedienen. Das Bauhaus stand nicht für einen festgesetzten Stil, sondern für die Idee der fortschreitenden Gestaltung. Diese ist nicht abgeschlossen, sondern wird unter neuen, komplexeren Bedingungen fortgesetzt. Zum Beispiel wird die Massenproduktion durch individualisierte Elemente ersetzt, die soziale Raumteilung durch elektronische Kommunikationssysteme. Daher sollte an jener Stelle ein Prototyp des “intelligenten Hauses” entstehen, bei dem ursprüngliche Elemente nur als Zitate verwendet würden. Wäre eine solche affirmative Kontinuität dem Geist der Moderne treu? Mitnichten, antworten weitere Kritiker. Denn das Bauhaus war eben nicht rein formalistisch angelegt. Es ging darum, wie Gropius meinte, “die Bedürfnisse der heutigen Zeit mit den heutigen Mitteln zu erfüllen”. Die Form war von der sozialen Funktion untrennbar. So war die Wohnmaschine als Lösung eines akuten Wohnelends konzipiert worden. Davon kann heute in der schrumpfenden Stadt Dessau und generell im ostdeutschen Raum ohne Volk keine Rede sein. Die Rekonstruktion dient anderen Bedürfnissen, nämlich der Förderung des Tourismus, besser gesagt des Posttourismus – das Wort fehlte noch, es wird von Regina Bittner in die Diskussion eingeführt. Während Touristen noch “authentische” Sehenswürdigkeiten besuchten, müssen sich Posttouristen mit inszenierten Schauplätzen begnügen, die sich noch nicht einmal unbedingt an ihrem ursprünglichen Ort befinden. Um dem Bauhaus treu zu sein, sollte diese soziale Funktion verdeutlicht werden. Ein wohnbares Haus zu bauen, wo es nicht benötigt wird, ist immer noch simulierte Authentizität. Der Kabarettist Chin Meyer meint dazu, daß eine Attrappe, eine Art Filmkulisse viel geeigneter wäre.


Da stellt sich jedoch die Frage, ob Rekonstruktion notwendig ins Triviale münden muß. Vielleicht bietet der Vorschlag von Filip Noterdaeme, Betreiber des New Yorker Homeless Museums einen Ausweg. Demnach sollte das exakte Replikat des originalen Meisterhauses im Jahr 2026 wiederaufgebaut und feierlich eingeweiht werden, 2045 wiederum von einem Flieger weggebombt und das jetzige DDR-Haus 2056 wiederaufgebaut werden. Diese Sequenz sollte jedes Jahrhundert wiederholt werden. So würde ein zeitlich dynamisches Denkmal entstehen, ein Zyklus von Rekonstruktion und Redestruktion. Nicht nur würde diese Idee im maroden Sachsen-Anhalt langfristig Arbeitsplätze sichern, sie würde auch ein perfektes Sinnbild des stotternden Zeitgeistes liefern.


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